Ein Erkennungszeichen des Scheiterns ist der Trümmerhaufen. Denn ursprünglich 'scheiterten' Schiffe, wenn sie an Felsen zerschellten, d. h. in ihre Scheite zerlegt wurden. Manchmal kann man in dem Schutt noch die Konturen des gesamten Projekts durchschimmern sehen, manchmal wurden einzelne Teile wieder aufgegriffen und einer späteren Vollendung zugeführt. 'Hessen riskant' forscht in Geschichte und Gegenwart nach den wagemutigen Menschen und Mächten, deren Ideen an technischen, sozialen oder ökonomischen Widerständen zerbrachen, die scheiterten, weil sie sich vermessen, verschätzt und überschätzt oder auch manchmal nur ein Detail übersehen hatten. Dabei werden unterschiedliche Gesichter des Scheiterns vorgeführt. Etwa das heroische des bürgerlichen Widerstands gegen die Startbahn West oder das skurile, wie der Versuch, im atlantischen Klima Hessens Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht anzupflanzen. Oft hat das Scheitern auch tragische Züge, wenn z. B. der Wert von wesentlichen Erfindungen wie Computer und Telefon von den Zeitgenossen geringgeschätzt wurde. Dreißig vergebliche Abenteuer menschlicher Einbildungskraft beinhaltet dieser Band, zu dreißig Schauplätzen, an denen zum Wohl oder Wehe der Gemeinschaft gescheitert wurde, führt das Buch 'Hessen riskant – Orte des Scheiterns in Hessen'.
Martin Maria Schwarz Knihy






Verbrechen haben ihre Schauplätze, sie sind so unschuldige wie schweigsame Teilhaber am kriminellen Akt. Die Autoren haben sie aufgesucht. Sie erzählen Geschichten von prominenten und völlig vergessenen Tätern und Opfern und wo genau sie zusammentrafen. Was man heute noch sieht, an diesen dreißig Orten des Verbrechens, zeugt oft von einer ungeheuren Friedfertigkeit. Doch manchmal tritt das Schaudern unvermittelt aus der Idylle hervor.
Wohin wir auch gehen und sehen. Irgendein Verbot wird sich uns schon in den Weg stellen. Oder machen Verbote erst den Weg frei? Das ist so einfach nicht zu beantworten. Natürlich ist es leicht, über Verbote zu schimpfen, weil es ihre Natur ist, unseren Bewegungs- und Handlungsspielraum einzugrenzen. Und es sich manchmal erst nach einer gewissen Zeit erweist, ob ein Verbot vielleicht doch klug und notwendig gewesen ist. Wäre z. B. jetzt der Sturm der Entrüstung noch genau so heftig, wenn ein neues Gesetz das Rauchen in Kneipen endgültig verbieten würde? Sicher, unzählige Verbote sind unsinnig und bisweilen skurril. Dass dem Königsberger Immanuel Kant an der Uni Marburg ein Redeverbot erteilt wurde, war schon damals absurd angesichts der notorischen Stubenhocker-Mentalität des großen Philosophen. Aber die Geschichte der Verbote in Hessen ist auch eine Geschichte der Verbots-Brüche und –Übertretungen, in denen sich oft genug ein gewitzter und erfindungsreicher Widerstandsgeist manifestiert. Solchen Geschichten spürt der Band „Hessen verboten – Orte groben Unfugs“ nach, denn Unfug ist oft mit von der Partie, entweder in der Übertretung oder im Verbot selbst. Denn nicht selten ist die Ursache für ein Verbot unsinniger als der freie Akt zivilen Ungehorsams.
Essen ist selten nur eine Frage der Sättigung; es spiegelt oft tiefere menschliche Bedürfnisse wider. Bei der Nahrungsaufnahme treffen höhere und niedere Bestimmungen aufeinander, und Essen wird zum Medium für verschiedene Bedeutungen. Dies gilt besonders für Hessen, wo der Apfelwein als Ausdruck von Eigensinn und Widerstandskraft gilt. Unter dem Teller eröffnen sich Abgründe, die nicht nur verdorbenes Fleisch betreffen, sondern auch die sozialen Veränderungen und bizarren Rituale, die mit dem Essen verbunden sind. An einer Imbissbude in Frankfurt etwa geschehen bei jedem Currywurstessen Selbstkasteiungen. In Witzenhausen wird das süße Fruchtfleisch der Kirschen zur lästigen Herausforderung während der Kirschkern-Weitspuck-Meisterschaften. Doch die hessische Küchengeschichte ist auch von Triumphen geprägt: Justus Liebig entwickelte in Gießen den Fleischextrakt, und der Koch Juan Amador in Langen strebt an, Speisen zu entmaterialisieren. Die dreißig Aufsätze in diesem Werk beleuchten Entdeckungen, Erkundungen und Beobachtungen der kulinarischen Kultur Hessens, abseits der gängigen Restaurantführer und Kochbücher.
Was lange gärt, wird endlich Wut. Jeder kennt das. Plötzliche, zornige Affekthandlungen, überschäumend aggressive Entladungen erwischen die soziale Umwelt oft auf dem falschen Fuß. Dabei haben Wutausbrüche meist eine lange Vorgeschichte, sind die letzte drastische Reaktion auf eine Umgebung, die sich gegenüber spezifischen Anliegen des Aggressors hartnäckig taub stellt. Auf dieser Ebene setzt individueller wie kollektiver Zorn bisweilen ungeahnte produktive und kreative Energien frei, findet originelle bis skurrile Formen, die im Langzeitgedächtnis hängenbleiben. Weil sie eine Gesellschaft zum Nach- oder Umdenken gezwungen haben. Bonifatius‘ Unmut über die naturgläubigen Germanen ließ ihn einen Baum fällen, ein Akt per Axt, der das Christentum voranbrachte. Die Fan-Bewegung der Frankfurter „Ultras“ setzt ihren Zorn über eine durchkommerzialisierte Fußballkultur in aufregende Choreographien um. Und was wäre die Stadt Kassel heute, wenn Landgraf Karl nicht einst von dem barocken Virus der Bauwut befallen gewesen wäre? Mancher Zorn in Hessens Geschichte hat nachhaltige Wirkung gehabt, mancher verpuffte aber auch, vielleicht, weil man seinen Absender nicht verstand. Die Geschichten in „Hessen zornig“ belegen jedenfalls, dass es sich lohnt, Erregung auszuleben.
Hessen schamlos
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Schamlos sein bedeutet, etwas zu zeigen, das man eigentlich verbergen sollte. Schamlose Menschen verhalten sich wie unzivilisierte Barbaren, da sie Tabus und gesellschaftliche Regeln ignorieren. Es ist Teil des menschlichen Umgangs, individuelle und kulturelle Empfindlichkeiten zu respektieren. Schamloses Handeln verletzt Grenzen, doch manchmal ist es notwendig, dass solche Barbaren auftreten, um bestehende Grenzen zu hinterfragen und das Verborgene sichtbar zu machen. Ein Beispiel ist die nassauische Freifrau des 17. Jahrhunderts, die einen Bürgerlichen heiratete und dies mit „Ich bin eine freie Frau“ rechtfertigte. Ihre Handlung wurde durch die Zeit legitimiert und sie wurde zur Vorreiterin der Zivilisation. Der Text erkundet verschiedene mutige Taten in der hessischen Geschichte, die Schamgrenzen überschritten und neu bewertet werden - ohne Scham. Zu den Themen gehören die Drosselgasse in Rüdesheim, das Busenattentat auf Adorno, der Abriss der Kasseler documenta-Treppe, Freikörperkultur in Hessen, das Hilchenhaus in Lorch, Weihnachtsbeleuchtung in Marburg, Eintracht Frankfurt, Handkäs', Nitschs Blutsuppe, Burschenschaften, die Deutsche Bank, der ausschweifende Schuster in Hersfeld, Justus Liebigs Geschäfte, das Brennelementewerk in Hanau, das Hindenburg-Grabmal in Marburg, Seume als Soldat, ein Katzenklavier in Kassel, atire vor Gericht und Münzfälschungen in Kassel.
Hessen vergessen
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Vergessene Dinge sind nicht verschwunden. Oft verharren sie trotzig, irgendwo unter den verschiedenen Zeitphasen, die über sie hinweggegangen sind, an „Orten ohne Erinnerung“. Wer ahnt schon, dass der berühmte Schauspieler Oskar Werner von seinem Publikum vergessen, in einem Marburger Hotel einsam starb. Aber diesen Ort gibt es noch. Dann sehen wir Dinge, wissen, was sie bedeuten, lediglich der Grund ihres Daseins ist verschwunden. Wie ein Monument ihrer eigenen Vergeblichkeit steht etwa eine Autobahnbrücke einsam und fern ab von jeglichen Straßennetzen in der Landschaft. Diese Brücke musste vergessen werden, weil sich ihre Bestimmung nicht erfüllen konnte. Und zumindest in einem Punkt gleicht sie dem Regenschirm, dem Objekt das am häufigsten vergessen wird. Beides sind Dinge, die wir vergessen, wenn sich ihr Nutzen überlebt hat. Wenn der Regen geht, bleibt der Schirm liegen. Geschichte ist ein Prozess von Erinnern und Vergessen. Dabei ist das Vergessen genauso wichtig wie das Erinnern. Die unbegrenzte Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart scheint also doch ihre Grenzen zu haben. Wie diese Grenzen verlaufen, wer bestimmt, was erinnert und was vergessen wird, entzieht sich oft unserer Kenntnis. Anhand vergessener Ereignisse, Menschen und Objekte wird diesem Phänomen in „Hessen vergessen - Orte ohne Erinnerung“ nachgespürt.
Fälscher und ihre Werke sind oft gesellschaftlich geächtet, da unser Wertschätzen des Originals und dessen Aura der Einzigartigkeit den schlechten Ruf begründet. Diese Aura ist jedoch illusorisch, denn solange eine Fälschung für echt gehalten wird, genießt sie dieselbe magische Aufladung. Oft wird übersehen, welchen sozialen Dienst Fälscher, Täuscher und Nachahmer leisten. Sie bedienen spezifische Bedürfnisse, heilen Wunden, realisieren Träume und füllen Leerstellen. So verdeckt die historische Rekonstruktion des Frankfurter Römerbergs schmerzhafte Erinnerungen an die Zerstörung durch den Krieg. Ein „Mon Chéri“ schmeckt besser, wenn die erfundene Piemont-Kirsche den feurigen Geschmack des Südens verspricht. Zudem wird unser Zorn auf enttarnte Fälscher oft von der Leidenschaft und Kunstfertigkeit überschattet, die sie in ihre Werke investierten. Perspektive ist entscheidend, denn wir verurteilen auch nicht die Brüder Grimm, nur weil sie Märchen leicht verändert haben. Die Betrachtung von Schauplätzen und Manipulationen in der hessischen Landesgeschichte zeigt, dass der Erfolg dieser Fälscher sowohl von ihrer Kunstfertigkeit als auch von unserer geheimen Faszination für ihre Persönlichkeiten und Produkte abhängt.