Die Wortschöpfung „Realpolitik“ von August Ludwig von Rochau (1810-1873) wird oft als Ausdruck einer Machtdemonstration betrachtet, die sich nicht am Recht orientiert, sondern das Faktum zur normbestimmenden Größe erhebt. Historiker sprechen von einer „realistischen Wende“, wenn sie auf Rochaus 1853 veröffentlichte „Grundsätze der Realpolitik“ verweisen, die die Enttäuschung über das Scheitern der Märzrevolution widerspiegeln. Diese Abhandlung wird als Abkehr von den politischen Idealen des Liberalismus interpretiert und als Anstoß für Bismarcks Blut-und-Eisen-Ideologie gesehen. Eine genauere Analyse von Rochaus Gesamtwerk entlarvt jedoch diese Zuschreibung als historische Legende, die ihren Ursprung in Heinrich von Treitschkes „Blitzstrahltopos“ hat. Diese Untersuchung zielt darauf ab, Rochaus Arbeiten als zentrales Kapitel der Wissenschafts- und Theoriegeschichte des Verhältnisses von Recht und Politik im 19. Jahrhundert zu beleuchten und ihre Stellung innerhalb der rechts- und staatswissenschaftlichen Literatur zu bestimmen. Besonderes Augenmerk gilt dem Vergleich zu Auguste Comtes Positivismus, dessen „Système de Politique Positive“ Rochau als methodisch orientierter Liberaler deutlich beeinflusste.
Natascha Doll Knihy
