Überrascht blicken wir auf das Werk eines jungen Autors des sechzehnten Jahrhunderts, den die englische Literaturgeschichte nicht kennt oder als Marginalie behandelt. Seine Gedichte besitzen Strahlkraft, Intelligenz und Entschiedenheit. Der Dichter – Edward de Vere, Earl of Oxford (1550–1604) – verbirgt seinen Namen von Anfang an hinter dem Schleier diverser Pseudonyme: Meritum petere grave, Fortunatus Infoelix, Ferenda Natura, Spraeta tamen vivunt, My lucke is losse, Phaeton. Ab 1593 (im Herbst dieses Jahres erscheint unter dem Namen William Shakespeare ein Versepos, »Venus and Adonis«) ist es dann nur noch eines: William Shakespeare. Diese hundert Gedichte eines rollenkundigen Spötters und sprachspielverliebten Dialektikers, die fast ausnahmslos um das Mit- und Gegeneinander von Liebe und Zurückweisung, Sehnsucht und Widerwillen, Leidenschaft und Bezähmung kreisen, sind eine Neuerscheinung in der Welt der Literatur. Sie gewinnen ihren Wert nicht durch die Zuschreibung an William Shakespeare. Umgekehrt: Ihre Qualität stützt die These, dass Edward de Vere ab 1593 unter dem Pseudonym William Shakespeare publizierte.
Edward De Vere Knihy


Fortunatus im Unglück
Die Aventiuren des Master F. I.
Als Buch im Buch, versteckt in einer anonym veröffentlichten literarischen Anthologie von 1573, erschien die erste englische Novelle, deren virtuose Dialoge zwischen Verspieltheit und Strenge oszillieren. Im Raffinement der Darstellung und poetischen Dichte sind die Aventiuren unvergleichlich. Das bald vom Markt verschwundene Buch erschien zwei Jahre später in einer „gereinigten“ Version unter dem Namen des Soldatendichters George Gascoigne. In der historisch-philologischen Analyse des Nachworts entwickelt Kurt Kreiler eine Indizienkette, die auf die Autorschaft eines großen anderen schließen lässt. Der Verfasser der Aventiuren könnte Edward de Vere, Earl of Oxford, sein, der von seinen Zeitgenossen als der „Beste im Fach Komödie“ gerühmt wurde und als Anwärter auf die Autorschaft Shakespeares gilt. Der Übersetzung wurde die erste Ausgabe von 1573 zugrunde gelegt. Fortunatus Infoelix, ein galanter Ritter des 16. Jahrhunderts, ist zu Gast in einem Schloss und verliebt sich in die Schwiegertochter des Hausherrn. Lady Elynor reizt den amourösen Belagerer durch die Doppeldeutigkeit ihres Widerstands. Die Zeremonien der Liebesverschwörung werden jäh unterbrochen, als eine zweite Frau den glücklichen Unglücklichen zum Tanz verführt. Am nächsten Tag bietet sich Master Infoelix als verständnisvolle Freundin an, um sein „Liebesexperiment“ geschickt zu steuern.