Dinge tauchen in der Literatur der Frühen Neuzeit in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen auf – sie werden getauscht, verschenkt oder geraubt. Dabei haben sie – jenseits ihres ‚Eigensinns‘ – je andere Funktion und Bedeutung: als handlungstragendes Element, als Mittel der Figurencharakterisierung oder als Gegenstand ökonomischen Handelns. Trotz ihrer Präsenz und ihrer großen Bedeutung vor allem für die ‚Ökonomie der Literatur‘ sind indes die Dinge (anders als Subjekte oder Modalitäten ökonomischen Handelns) von den Literaturwissenschaften bislang kaum untersucht worden. Der Sammelband schließt an aktuelle Forschungen zur ‚materiellen Kultur‘ an und widmet sich erstmals konsequent den Dingen und Gegenständen, die in literarischen Texten der romanischen Literaturen von der Renaissance bis zum 18. Jahrhundert zur Sprache kommen.
Annika Nickenig Knihy



Devianz als Strategie
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Die semantische Verknüpfung von Krankheit und Weiblichkeit reicht bis in die Antike zurück und erlebt spätestens im 19. Jahrhundert im Krankheitsbild der Hysterie einen Höhepunkt der kulturellen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Gleichermaßen irritierend wie erklärungsbedürftig ist indes der Umstand, dass die Figur der kranken Frau in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Prosatexten von Autorinnen eine umfassende Wiederbelebung erfährt – zu einem Zeitpunkt also, da infolge feministischer Debatten eine Infragestellung der tradierten Geschlechterbilder längst stattgefunden hat. Ausgehend von dieser Beobachtung geht die vorliegende Studie der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen und auf welche Art und Weise die zitathafte Wiederholung pathologisierender Schreibweisen in Romanen von Schriftstellerinnen eine strategische Wendung erhält. Anhand einer komparatistischen Analyse ausgewählter Werke von Sylvia Plath, Ingeborg Bachmann, Marguerite Duras, Toni Morrison, Gisela Elsner, Christine Angot und Elfriede Jelinek werden unterschiedliche Verfahren strategischer Devianz herausgearbeitet, die dazu dienen, das Stereotyp der kranken Frau zu dekonstruieren und neue ästhetische Spielräume zu erproben. In den einzelnen Untersuchungen steht dabei insbesondere das produktive Spannungsverhältnis von Aneignung und Abwehr, Originalität und Imitation, Normalität und Devianz im Vordergrund.
Der Versuch einer Darstellung der diskursiven Verflechtung von Gewalt und Geschichte führt die Literatur an ihre Grenzen. Brüchige, marginalisierte und verdrängte Erinnerungen lassen sich nicht ohne weiteres in eine geschlossene Erzählung überführen, sondern verlangen eine Auseinandersetzung auf der formalästhetischen Ebene. Die Autorinnen Elfriede Jelinek und Assia Djebar haben trotz der starken Differenz des historischen Kontexts, auf den sie jeweils Bezug nehmen – zum einen die mangelhafte Vergangenheitsaufarbeitung in Österreich, zum andern die Nachwirkungen der Kolonialisierung in Algerien und Frankreich – vergleichbare Verfahren entwickelt, herkömmliche Darstellungsmuster zu unterwandern und stattdessen die Textoberfläche selbst zum diskursiven Körper werden zu lassen. Beide Autorinnen setzen nicht am Ereignis selbst, sondern vielmehr an seinen Repräsentationsformen an und kommen dabei zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen über die Möglichkeiten von Sprache. Die vorliegende Arbeit situiert Einzelanalysen der Romane ‚Die Kinder der Toten‘ und ‚L'Amour, la fantasia‘ vor dem Hintergrund der Unverfügbarkeit und Nachträglichkeit kollektiver Traumata, fokussiert insbesondere auf die intertextuellen Strategien der Werke und greift auf feministische, postkoloniale und dekonstruktivistische Theorieansätze zurück.