Nach ein paar weiteren Jahren hatten sie sich durch Nähern entfernt und zwar so, dass die alltägliche Kommunikation immer mehr an den Gegenständen alltäglicher und mentaler Geschäftigkeit hängen blieb und dort aber immer genauer wurde. Sie dünnten sich sozusagen mit dem Bespielen des Außen aus. Dünnten sich in eine glanzlose Oberfläche spröder Anatomie von Deutungen aus. Und obwohl die Zeit, in der sie lebten, keine einfache war, ein Durcheinander ideologischer Energien, gebeutelt von Arbeitslosigkeit und Umbruchsunsicherheit einer neuen Ära, interessierten sie sich kaum für die Welt, für die sozialen oder politischen Strömungen ihrer Zeit. Vielleicht verzerrten sie sich zu einer Physiognomie privatistischer Mythologie von vielleicht pseudomystischem Dogma, das zwischen Alltagsrassen und analytischer Leere in einen Fatalismus von Verwehung hin und her staubte. Vergifteter Staub aus Epochen brutalster und dümmster Handlungen. Ein Erbe, das den persönlichen Gott zugunsten einer strukturellen, formlos-rationalisierten Freiheit abgeschafft hatte und das in den Moloch des Maschinenhaften mündete und unendliches Freisein versprach. Allerdings war auch in solchen Haupttendenzen immer wieder das Stehaufmännchen der Menschlichkeit aufgestanden, um die zersplitterten Teile des Puzzles wieder zu einer schützenden, wärmenden und Durchsicht gewährenden Glasscheibendecke zusammenzuflicken. »Das hat heute richtig gut geschmeckt.« Er blickte sie länger an als sonst nach dem Essen. Sie räumte die Teller ab, ohne seinen Blick zu erwidern. »Danke!« Komisch, dachte sie, gerade heute hatte sie überhaupt keine Lust zu kochen gehabt, hatte es einfach nur so hingeklatscht. »Wie weit bist du denn mit deinem Essay?« »Och, es geht ganz gut voran. Ich denke, übermorgen wird er fertig. Ich hoffe, dass sie ihn diesmal nehmen werden.« »Ja, das hoffe ich auch für dich!« Sie strich von hinten über seine Schultern. Er reagierte nicht, dachte sofort wieder an seine Grundthesen und die dazu gemachten Rechtfertigungsstrategien. »Denkst du bitte daran, dass wir heute Abend bei Sarah eingeladen sind?« »Ach ja, richtig, richtig.« Er zündete sich eine Zigarette an und machte es sich im Ohrensessel bequem. »Und ehrlich gesagt, ich würde mich freuen, wenn du heute das Thema analytische Mystik sein lassen könntest.« Beleidigt und besserwisserisch fiepste er: »Entschuldige, dass ich der Einzige in unserem Freundeskreis bin, der ein höheres Verantwortungsgefühl hat!« Christel sagte nichts und ging ins Badezimmer. Mental aktiviert und seelisch verwirrt sprang Paul aus dem Sessel. Zog nervös ein, zwei Bahnen durchs Zimmer, blieb beim Fenster stehen, ballte eine Faust, bis nur noch das Weiße an den Knöcheln zu sehen war, und sagte mit zerknirschter Stimme: »Weltherrschaft!«
Andre Wnendt Knihy


Schwarze Muttererde überall, darinnen Jegor. Außerdem Coco, Paul, die Trash-Jet-Hipster, Rainer, Therese. Und Rani. Sie alle wühlen sich sieben Tage lang Richtung Ruinale, ein Kunstfestival, das seinen Namen nur noch aus Kultgründen hat. Und doch scheint sich in diesem Jahr alles anders zu entwickeln. Dysfunktionales Verhalten, die Finanzierung der Krise vor der nächsten Krise, Trickster und reine Seelen, alles und alle vereint unter demselben DaDa-Gewitter, das diese Zeit zu bestimmen scheint. Ruinale – Eine Scala erzählt von den Tücken kreativer Selbstverwirklichung, dem Tappen im Dunklen, von menschlichen und zwischenmenschlichen Versuchen und der Zeit nach der Zeit der 00er-Jahre. „Am Ende wird alles gut, und wenn nicht, dann ist es nicht das Ende.“