Die Ukraine: zwischen »Osten« und »Westen« zerrissen? Die vereinfachenden und undifferenzierten Repräsentationen einer zweigeteilten Ukraine, basierend auf Sprache, Religion oder politischen Einstellungen, prägen das Bild von der ukrainischen Gesellschaft außerhalb des Landes. Der Sammelband befasst sich mit der realen und imaginären Zunahme von Grenzen im post-sowjetischen Raum. Dazu setzt er sich mit deutschen und ukrainischen Autoren auseinander, mit der medialen Repräsentation der Ukraine in Visualisierungen in den englischsprachigen Medien sowie, am Beispiel von Odessa, mit eigensinnigen Stadttexten, die trotz politischer Brüche bemüht scheinen, ein Bild jenseits der Zweiteilung aufrechtzuerhalten. Aus dem Inhalt: Tatjana Hofmann: Odessa-Poetiken als Identitätsressource in Umbruchszeiten. Von Isaak Babel zu Boris Chersonskij Steven Seegel: Any Lessons Learned? Echo Chambers of Staged Geopolitics and Ethnocentricity in Maps of the Russian-Ukrainian Conflict in February-March 2014 Ulrich Schmid: Mapping Ukrainian Regionalism: Opportunities and Challenges of Cartographic Representations Tatiana Zhurzhenko: The proliferation of borders in the post-Soviet space: Ukraine and beyond Ievgeniia Voloshchuck: Die Ukraine als Palimpsest: Imperiale Phantomgrenzen der Ukraine aus der Perspektive der ukrainischen und deutschsprachigen Literatur nach 1989 /1991
Sabine von Löwis Knihy


Das Phantom der alten Grenze am Zbruč
Kontinuitäten und Brüche sozialräumlicher Strukturen in der Westukraine
Die alltägliche Relevanz von historischen und gegenwärtigen Grenzen in der Ukraine. Spätestens seit dem russischen Überfall ist die Ukraine medial allgegenwärtig. Dabei sind es neben den sprachlichen, religiösen oder politischen Differenzen immer wieder die historischen Grenzen, die für regionale Unterschiede verantwortlich gemacht werden. Sabine von Löwis untersucht in einer Fallstudie an der ehemaligen Grenze am Zbrucˇ die Relevanz vergangener staatlicher Ordnungen für das Alltagsleben in der Ukraine. Die zu diesem Zweck untersuchten Dorfgesellschaften sind ursprünglich als ein Dorf gegründet und erst durch die Teilungen Polens am Ende des 18. Jahrhunderts durchschnitten worden. Nach 1945 gehörten sie ungetrennt, aber auch nicht vereint, zur Sowjetunion; heute sind sie Teil der unabhängigen Ukraine. Anhand eines Dorfjubiläums im Jahr 2013 analysiert die Autorin wirtschaftliche, politische und kulturelle Besonderheiten. Viele Unterschiede erscheinen dabei augenfällig, doch haben sie mitnichten zwingend eine separierende Funktion und mitunter befinden sie sich sogar in einem Auflösungsprozess. Die Phantomgrenze erweist sich hier weder als etwas Gegebenes, noch als Konstrukt: Sie entsteht dort, wo eine Gemeinschaft in der Deutung alltäglicher Praktiken und in einer spezifischen Situation ihre Geschichte erinnert.