Die erste Einführung in die Sprache und Literatur des Mittelniederdeutschen verknüpft literarhistorische Darstellung und sprachliche Beschreibung mit dem Ziel, eine umfassende und bewusste Lektürekompetenz zu fördern. Besonderheiten ihrer Konzeption sind, dass Sprache und Literatur stets zusammengedacht werden, dass die Einführung an der Überlieferung orientiert ist und dass ausgewählte Texte mit kleineren Übungen in die Kapitel integriert sind. Mittelniederdeutsche Sprache wird aus synchroner Perspektive auf den verschiedenen grammatischen Ebenen beschrieben. Diachrone Aspekte werden dort ergänzend einbezogen, wo sie dem Textverständnis dienen. Um ein breites Verständnis des Mittelniederdeutschen zu ermöglichen und das Lesen und Übersetzen der Quellen zu erleichtern, wird auf sprachliche Variation als ein wesentliches Merkmal historischer Sprachstufen eingegangen. Die Sprachlehre berücksichtigt Ergebnisse aktueller Forschung und bezieht Daten des "Referenzkorpus Mittelniederdeutsch/Niederrheinisch (1200-1650)" ein. Die sprachlichen Phänomene werden an den Texten veranschaulicht, die der literaturgeschichtliche Teil der Einführung vorstellt. Orientiert an Gattungstraditionen und Texttypen sowie an herausragenden Schreiborten und greifbaren Autorpersönlichkeiten wird die Vielfalt mittelniederdeutscher Textkultur abgebildet. Dabei wirft das Lehrbuch nicht nur einen Blick auf kanonische Quellen der Überlieferung, sondern auch auf eher randständig wahrgenommene Texte und Textgruppen. Das Mittelniederdeutsche wird in seiner zeitlichen und räumlichen Breite abgebildet. So wird textliche Vielfalt sichtbar. Um die LeserInnen in die Lage zu versetzen, mittelniederdeutsche Texte selbständig zu bearbeiten, werden die Primärtexte umfänglich in das Lehrbuch eingebunden. An ihnen werden nicht nur literaturgeschichtliche Informationen und literaturwissenschaftliche Ansätze veranschaulicht, sondern anhand von Übungen auch das Wissen um grammatische Merkmale geschärft. Auf diese Weise wird die Lektüre-, Übersetzungs- und Analysekompetenz gefördert. Ergänzt werden die Sprachlehre und die Literaturgeschichte durch eine Einführung in zentrale Arbeitsmethoden wie die Nutzung von Wörterbüchern, Grammatiken, Korpora und Atlanten sowie in die individuelle Literaturrecherche.
Anabel Recker Knihy


Explizite Regelpoetiken entwickelt der Meistergesang erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Im frühen anonymen Meistergesang des 14. und 15. Jahrhunderts kommen poetologische Reflexionen dagegen ausschließlich in den sangbaren Texten selbst zum Ausdruck. Die Studie ediert und analysiert Bare, die das Dichten thematisieren und aus denen sich sprachliche, metaphorische und gattungstypologische Merkmale einer Poetologie ergeben. Für den frühen Meistergesang des 14. und 15. Jahrhunderts sind explizite volkssprachige Poetiken nicht nachweisbar. Während die institutionell organisierten Meistersinger später mit den Tabulaturen eine normative Textgattung entwickeln, kann die Poetologie des frühen anonymen Meistergesangs nur aus der Dichtung selbst heraus erschlossen werden. Die Zuschreibung des Maßgebendseins für poetologische Gedichte negiert die Vorstellung einer abstrakten Norm a priori, die im Gedicht versifiziert wird, aber auch die einer abstrakten Norm, die aus dem Gedicht herausdestilliert wird. An ihre Stelle tritt das Gedicht selbst. Die Studie ediert und untersucht Bare, die zwischen ca. 1350 und 1520 entstanden und Reflexionsformen wie dichterische Fachsprache, das Bild des Dichters als Handwerkers, Reimkunstwerke oder inhaltlich festgelegte Liedtypen verwenden. Auf diese Weise hilft sie den frühen Meistergesang über adäquate Editionen zugänglicher zu machen, ihn besser zu durchdringen, auf anwendbare Kategorien zu bringen und als Abschnitt der meistersingerischen Tradition mit eigenständigen poetologischen Profil zu kennzeichnen. Als Ergebnis zeigt die Arbeit sprachliche, metaphorische und gattungstypologische Merkmale einer Poetologie des frühen Meistergesangs auf.