Bernward Joerges Knihy






Organtransplantation ist ins Gerede gekommen. 30 Jahre nach Dr. Barnards spektakulärer Herzverpflanzung, 15 Jahre nach den ersten Erfolgen der Immunsuppression ist das Transplantationswesen international etabliert und klinisch zur Routine geworden. Der Aufbau dieses Systems war stürmisch, getrieben vom dem Bemühen, die sich ständig öffnende Schere von Organangebot und -nachfrage durch technische Verbesserungen und ein kulturelles Deutungsmanagement zu schließen. Aber das System scheint in eine Krise geraten zu sein: Medizinisch- technische Innovationen, verkehrs- und telekommunikationstechnische Vernetzung und grenzüberschreitendes Management treiben den Organbedarf nach oben. Mangelnde Spendebereitschaft, rechtliche und ethische Einschränkungen und fundamentale Ängste („Ersatzteillager Mensch“, „Industrialisierung des Körpers“) setzen Grenzen. - Die Beiträge des Bandes lenken den Blick auf die technischen Grundlagen der Transplantation, insbesondere ihre Einbettung in große technische Netzstrukturen. Sie zeichnen das Wechselspiel technischer und nicht-technischer (kultureller, rechtlicher, politischer) Problemlagen und Problemlösungen und die daraus resultierende Dynamik nach.
Sozialwissenschaftler verwenden die Körpermetapher meist anthropologisch im Sinne des Erweiterns, Entlastens und Ersetzens der sinnlichen Organe und Funktionen menschlicher Körper durch anorganische technische Artefakte. Sieht man dagegen Technik als Körper der Gesellschaft, dann stellt man die Metapher vom Kopf auf die Füße. Materiale, außerkörperliche Technik interessiert hier als eine kulturelle Errungenschaft, der soziale Prozesse und Formen zu verdanken sind, die nur auf biologische Körper gestützte Interaktion nicht hervorbringen könnte. In dieser Metaphorik liefert Technik die notwendigen Organe für Recht, Wirtschaft oder Wissenschaft und erlaubt neue Formen des Verträgemachens, des Gütertausches oder der Aufschließung der Natur.
Technik im Alltag
Herausgegeben von Bernward Joerges
Der Band bringt sechs Versuche einer theoretischen Selbstverständigung zu einem Thema zusammen, das wenig Tradition hat. Eine seit nunmehr beinahe einem Jahrzehnt wiedererwachte sozialwissenschaftliche Technikforschung führt unter dem Begriffskürzel „Technik und Alltag“ eine Vielzahl technischer Phänomene außerhalb von Industrie und Verwaltung: Technik in Küche, Bad und Wohnzimmer, im Heizungskeller und im Supermarkt, Dinge wie Bankomat, Minitel oder Synthesizer, Technik in Sport und Spiel, auf der Straße, im Kino und im Krankenhaus; aber auch die alltägliche „Verwendung“ und das Betroffensein von Stromerzeugungs- und Telekommunikationssystemen, Kanalisation oder Flugüberwachung. Ein residualer Gegenstand also? Offenbar nicht, wenn man den Argumentationen der Beiträge folgt. Alle zeigen sich an dem Problem einer allgemeineren Grundlegung unverbundener techniksoziologischer Fragestellungen in allerlei Bindestrichsoziologien interessiert. Industriesoziologie und Wissenschaftssoziologie, Stadtsoziologie oder Entwicklungssoziologie, ja selbst eine familiensoziologisch orientierte Konsumsoziologie befassen sich ja mit verschiedenen Techniktypen und „Technikfolgen“, ohne viel miteinander zu korrespondieren. Aus einer „Alltagsperspektive“ zu argumentieren bedeutet immer auch, bei den einzelnen Autoren mehr oder weniger dezidiert, für einen „Perspektivwechsel“ in einer industriesoziologisch verengten Techniksoziologie zu plädieren.