Der erste originäre (d. h. nicht aus fremdsprachigen Vorlagen übersetzte) deutsche Prosaroman erschien im Jahre 1509 anonym in Augsburg. Die im 16. Jahrhundert in fast allen europäischen Sprachen übersetzte und später von den Romantikern wiederentdeckte »hystoria« einer Patrizierfamilie stellt deren Schicksal unter dem Einfluß der Glück wie Unglück austeilenden Göttin Fortuna dar: Niedergang, Aufstieg und erneuter Fall der innerhalb von drei Generationen agierenden Hauptfiguren bilden eine Drehung ihres Glücksrades ab. Vor dem faszinierenden Hintergrund des Zeitalters der großen Reisen und der Epoche des Frühkapitalismus formuliert der Roman mit seinem auf Abschreckung angelegten Schluß eine Grundfrage seiner Zeit. Auf welche Weise kann ein vermögender Großbürger in einer von Geld, Adelsvorrechten und neuer Welterfahrung bestimmten Gesellschaft leben, ohne den Fortbestand seines Geschlechts und seines Seelenheils zu gefährden? Die Antwort der »hystoria« versucht beiden Sphären gerecht zu werden. Die Erziehung der Kinder, verstanden als Transfer der Lebenserfahrungen von Generationen, sollte durch »salomonische Weisheit, die auf Selbsterkenntnis und Gottesfurcht basiert, ergänzt werden. Diesem, der frühhumanistischen Moralphilosophie verpflichteten Lösungsmodell liegt die Tugendlehre Petrarcas zugrunde. Mit dem Nachweis der innovativen Verarbeitung zeitgenössischer Berichte zur Politik, Geschichte, Geographie etc. wird die Entschlüsselung der zahlreichen aktuellen Anspielungen auf Zeitgeschehen und Verstehenshorizont der Bürger in einer oberdeutschen Stadt im Zeitalter Jakob Fuggers des Reichen möglich, und neue Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte und primäre Rezeptionssituation des Romans (einschließlich einer neuen Hypothese über den Verfasser) schließen die Untersuchung ab.
Hannes Kästner Knihy




Der erste originäre deutsche Prosaroman erschien 1509 anonym in Augsburg und erzählt die Geschichte einer Patrizierfamilie, deren Schicksal von der Glücksgöttin Fortuna beeinflusst wird. Der Roman thematisiert den Niedergang, Aufstieg und erneuten Fall der Hauptfiguren über drei Generationen und spiegelt das Glücksrad wider. Vor dem Hintergrund des Zeitalters der großen Reisen und des Frühkapitalismus stellt er die Frage, wie ein wohlhabender Großbürger in einer von Geld und Adel bestimmten Gesellschaft leben kann, ohne das Fortbestehen seines Geschlechts und seines Seelenheils zu gefährden. Die Antwort der Geschichte versucht, beiden Sphären gerecht zu werden, indem die Erziehung der Kinder als Transfer von Lebenserfahrungen verstanden wird, ergänzt durch salomonische Weisheit, die auf Selbsterkenntnis und Gottesfurcht basiert. Dieses Lösungsmodell ist von der frühhumanistischen Moralphilosophie Petrarcas inspiriert. Durch die innovative Verarbeitung zeitgenössischer Berichte zu Politik, Geschichte und Geographie wird die Entschlüsselung aktueller Anspielungen auf das Zeitgeschehen und das Verständnis der Bürger in einer oberdeutschen Stadt zur Zeit Jakob Fuggers ermöglicht. Die Untersuchung schließt mit neuen Erkenntnissen über die Entstehungsgeschichte und die primäre Rezeptionssituation des Romans, einschließlich einer neuen Hypothese über den Verfasser.