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Kerstin Kempker

    1. január 1958
    Mitgift
    Das wird ein Fest
    Die Erfüllung der Wünsche
    Bruderherz
    Frau im Konjunktiv. Eine Auswilderung
    Nur die Knochen bitte
    • Eines Nachts kommen drei Gestalten im Ostseeort Sellin im Apartment 27 zusammen: die Frau, das Mädchen und Luise. Die Frau liest dem Mädchen, das sie war, dessen Briefe vor, zerreißt sie dann und verfolgt am Bildschirm, wie Luise parallel zum Absturz der russischen Raumstation Mir ihren eigenen Absturz zelebriert. Zugleich versucht auch die Fußnote, in die Handlung einzutreten, nur um die Erzählung immer wieder abzulenken. In diesem vielstimmigen Text prallen Ansichten und Ängste aufeinander: Das Mädchen will nicht in Vergessenheit geraten, während die Frau sich ins eigene Fleisch beißt, um zum Kern zu gelangen. Spannungsgeladen verknüpft Kerstin Kempker verschiedene Handlungsfäden – die Erzählung führt in eine Übungsfirma, in den Koloss von Prora, in Hotels und Spelunken – zu einem einzigartigen Textgewebe, das hinter der Fiktion nach dem richtigen Moment sucht, um mit dem Mund an die Welt zu pochen, sich den Mund an ihr blutig zu schlagen. Warum bloß macht sie nicht auf? »Den ersten Sprung hatte das Mädchen getan vom Nutzlosen ins Nützliche, in Brot und Arbeit, den zweiten hatte die Frau von dort ins Luftleere getan, in die Fiktion, doch der dritte Sprung geschah jetzt, aus Bett und Geschichte, wohin?«

      Frau im Konjunktiv. Eine Auswilderung
    • Bruderherz

      Ein Flimmern

      Die Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, hat eine Gastwohnung in New York bezogen. In der Nacht schreckt sie auf: Vorhofflimmern. Sie kennt das schon, schluckt die Notfallpille. In diesem Moment beginnt die Erzählung, die zwei Stunden zwischen Schlucken und Wirken umfaßt die Erzählzeit. Gedanken an die Kindheit kommen in ihr hoch: an die Eltern, die Geschwister, die Häuser, in denen die Familie lebte. Vor allem aber kreisen ihre Gedanken um ihren Bruder. Seit bald acht Jahren sprechen die beiden nicht miteinander, seit dem Fest in Caputh... Doch dies war nur der zufällige Anlaß einer längeren Geschichte, die an jenem Abend kulminierte, als man den 80. Geburtstag der Mutter feiern wollte. Die Erzählerin sucht nach Vorzeichen, verdeckten Hintergründen; sie versucht, ihrer gemeinsamen Vergangenheit wieder habhaft zu werden. Denn die längste Beziehung im Leben ist die zu den Geschwistern. Oder: «Wer Hand in Hand durch die Kindheit ging, gemeinsam auf der Lauer lag und jeden Samstag im selben Wasser badete, der sagt nicht ohne den anderen Ich» – dies eine weiß sie gewiß. Es sind die alten Fragen: «Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?», die den Text antreiben. So beiläufig das Buch erzählt zu sein scheint, so tiefgründig erforscht es die kleinen Ursachen mit den großen Wirkungen, die – den Betroffenen weitgehend verborgen – ganze Lebensläufe und Familiengeschichten bestimmen können. Kerstin Kempkers Bücher können nie auf den Plot hin gelesen werden, sie sind genuin literarisch. Wer sich nicht sentimental betrügen lassen will, ist bei dieser Autorin richtig.

      Bruderherz
    • Die Erfüllung der Wünsche

      • 143 stránok
      • 6 hodin čítania

      Im Zentrum hockt wie die schwarze Spinne der Krebs – ein Wort, das die Erzählerin selbst nicht in den Mund nimmt. Statt den Befundbrief zu öffnen und mit leeren Händen und leerem Kopf vor ihrem Schicksal zu stehen, wappnet sie sich und spielt die Sache erst einmal durch. Als Vorhut und Puffer schickt sie Zwischenerzähler ins Feld, die die Lage im Klinikum Moribundes nicht nur sondieren, sondern revoltieren; eine Mobilmachung der Passiven gegen organisierte Kräfte in einem weißen Krieg und einem hermetischen Körper. Denn beim nächsten Mal, soviel ist sicher, wird sie es sein, die die Fäden in der Hand hält. Zwei Männer, frisch operiert, treffen im Aufwachsaal aufeinander. Kajna – als Strafrichter zu herrschen gewohnt, von den Ärzten nicht mehr zu retten – bittet den Jüngeren in einer Erbschaftssache um Hilfe. Der fordert seinem Richter Erklärungen ab, deckt Machenschaften auf, findet Leichen im Keller und trifft in der Nacht auf der Raucherinsel am Hubschrauberlandeplatz die Kahle von Station drei, mit der er den Bau umwandert, eine Pritsche teilt und den Aufstand der Bettlägerigen plant. Aus still Leidenden werden vitale Spezialisten, Machtverhältnisse verschieben sich, Mattigkeit gleitet über die Flure. Die Kahle von Station drei erzählt ihrer Bettnachbarin, einem Mädchen im vermeintlichen Wachkoma, Nacht für Nacht vom wütenden Wirbeln im Krankenhaus zur Erfüllung der Wünsche. Sie erzählt ihr auch von der anderen Kahlen, die wie ihr eigener Schatten im verblichenen Hotelbademantel ruhelos den Flur auf und ab wandert und laut mit den Bösen verhandelt. Sie weiß nicht, ob sie wirklich gehört wird. Prolog und Epilog im Aufwachsaal dichten die Geschichte ab. Auf allem liegt Schnee.

      Die Erfüllung der Wünsche
    • Karl Wenig sitzt in tiefer Nacht auf seinem Balkon und ist der einzige Augenzeuge, als ein junger Mann in Flip-Flops die Straße heruntergelaufen kommt, 'Ich bin ein Roman' ruft, die Arme zum Himmel hebt und in sich zusammenfällt. Unter 'Verschiedenes' ist zwei Tage später in der Zeitung zu lesen, der junge Mann habe Roman geheißen und sei auf der Stelle tot gewesen. Unmittelbar daneben berichtet eine Meldung von Viganella, dem dunkelsten Dorf Italiens, dem mit Hilfe eines auf dem Berg montierten Spiegels die Sonne ins Tal heruntergeholt werden soll. Karl Wenig bestellt die unzuverlässige Zeitung ab und beschließt, den Mann, der just unter seinem Balkon so einsam 'seinen Punkt gesetzt hat', ins rechte Licht zu rücken und seine Geschichte zu erzählen: 'B. u. E., Berichtigungen und Ergänzungen.' Karl Wenig hat in einem kommunalen Archiv gearbeitet, bevor er und seine Kollegen wegrationalisiert wurden; so kennt er sich aus mit dem Archivieren von Lebensgeschichten, mit Abstempelungen und Abkürzungen. K. W. soll der Junge heißen, d. h. 'Keine Wiedervorlage' und 'Kein Weinen, knappe Worte, kleiner Wahn, kaum wirklich.' Entschlossen verbarrikadiert sich Karl Wenig in seiner verwahrlosenden Wohnung, die seit kurzem auch von seiner Frau Rose verlassen ist, um dem jungen Mann ein Leben zu erschreiben. Im lichtlosen Dorf Viganella erzählt eine junge schöne Frau, kurz bevor sie das Dorf für immer verläßt, ihrem Sohn von Carlo, dem fabelhaften Kellner. Auch der Sohn macht sich auf, um sein Glück zu suchen; er landet in einer großen Stadt, wo sich in der Meldebehörde eine Frau seiner annimmt und ihm mit seiner Identität hilft – die sich plötzlich eigentümlich mit derjenigen Karl Wenigs verschränkt. Der Spiegel von Viganella wirft derweil Sonnenrechtecke in ein fast verlassenes Dorf. Kerstin Kempker erzählt virtuos, den feinsten Verästelungen der Sprache nachgehend davon, wie ein Leben verloren geht – und daß es manchmal nur die richtige Geschichte braucht, um es wiederzufinden.

      Das wird ein Fest
    • Mitgift

      Notizen vom Verschwinden

      Mutmachendes Buch für Betroffene und Familien: auch wenn keiner mehr daran glaubt, kann man es schaffen, den psychiatrischen Sumpf nach Jahren zu verlassen und wieder auf eigene Füße zu kommen. Autobiographischer Bericht über eine Jugend in der Psychiatrie, über das Verschwinden in den Gedanken, über die Bedeutung und die Last der Wörter und darüber, wie die Psychiatrie sie mit Neuroleptika, Antidepressiva, Tranquilizern, Insulin- und Elektroschocks auslöschen will. Kerstin Kempker beschreibt, wie sie Mitte der 1970er-Jahre als Jugendliche aus einer Beamtenfamilie und katholischen Klosterschule heraus in die Psychiatrie fiel, was sie in mehr als drei Jahren dort erlebte und wie sie daraus hervorging. Eine Geister- und Achterbahnfahrt in den Wahnsinn der Institution Psychiatrie, in die déformation professionel ebenso wie die Deformation der Diagnostizierten, durch die Untiefen verschiedenster psychiatrischer Schulen, kopfüber in eine durch Psychopharmaka, Insulin- und Elektroschocks leergefegte Existenz. Unverfroren und niemals larmoyant schreibt die Autorin trotzig 'Ich' und nennt die Beteiligten beim Namen (u. a. U. H. Peters, Wolfgang Binswanger, Niels Pörksen). Ein präziser Bericht, ein poetischer Text, ein spannendes Buch, selbstironisch und mutmachend. Das schönste Antipsychiatriebuch der Welt!

      Mitgift
    • Flucht in die Wirklichkeit

      Das Berliner Weglaufhaus

      Wenn Psychiatriebetroffene der Verwahrung und Chemobehandlung den Rücken kehren und Krisen ohne Psychopharmaka durchstehen. Ein Bericht über die ersten Jahre der Praxis im Berliner Weglaufhaus, der bundesweit einzigen öffentlich finanzierten antipsychiatrischen Zufluchtstätte

      Flucht in die Wirklichkeit
    • Kerstin Kempker bringt die grenzziehende psychiatrische und die grenzüberschreitende verrückte Welt an ihren Berührungspunkten zum Sprechen. Dabei nutzt sie die Kunst der Collage, um sonst nur getrennt geführte Diskurse – literarische, philosophische, psychiatrische wie antipsychiatrische – aufeinanderprallen zu lassen. Gerade die literarischen Stimmen – wie Ingeborg Bachmann, Antonin Artaud, Sylvia Plath, Unica Zürn, Robert Walser – machen deutlich, dass un(zeit)gemäße und ungemäßigte Wahrnehmungen, Empfindungen und Äußerungen eine Gabe sein können, die zwar ihren Preis, mit Krankheit aber nichts zu tun hat. Preis der Verrücktheit ist das Risiko der Psychiatrisierung und der Verlust der gemeinsamen Sprache; Preis der Anpassung wäre jedoch die Preisgabe der eigenen Identität.

      Teure Verständnislosigkeit