Stefan Schank Knihy





Ich weiß nicht mehr, ob der erste Eindruck von seinem Mund ausging - es war ein großer Mund mit dicken, fast kindhaften Lippen - oder von seinen Augen oder von der grauen Farbe seines Gesichts. Ich weiß überhaupt nicht, ob es das Gesicht war, von dem der erste Eindruck kam. Ich glaube, das Gesicht war es nicht, doch auch nicht die Gestalt. Es war seine Kravatte.... Ich fühlte damals eine Spannung zwischen Rilkes innerem und äußerem Menschen, die mich rührte. (Franz Werfel, 1927) Kaum jemand, der Rilke (1875 - 1926) kennt, steht ihm neutral gegenüber. Die einen verehren, die anderen hassen ihn. Sein unstetes Wanderleben war geprägt von den gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit und den katastrophalen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg. Sein einflußreiches Werk fasziniert nach wie vor. Ich kam aus blassen Fernen ins dämmernde Geheg, und zu den blassen Sternen führt Sehnsucht mich den Weg. Ob keiner von den Andern mein weites Ziel begreft, ich singe still im Wandern, und - meine Seele reift. (Gedicht für Carl du Prel, München 1897)
Für Rainer Maria Rilke (1875-1926) war die Kindheit eines der zentralen Themen seines Lebens und seiner Dichtung. Vom Beginn seiner dichterischen Arbeit an bis hinein ins Spätwerk hat er immer wieder Kinder und Kindheit, Mutter-Sohn- und Mutter-Tochter-Beziehungen sowie - seltener - Vater-Sohn-Beziehungen zum thematischen Mittelpunkt von Gedichten, Prosatexten und Dramen gemacht. Aber auch in zahlreichen Briefen, in seinen Schriften über Kunst, ja selbst in seinen Buchbesprechungen betont Rilke die Bedeutung der Kindheit für das ganze Leben eines Menschen und insbesondere für das Leben und Schaffen des Künstlers. Dabei gehört Rilke, jedenfalls bis zu den „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, nicht zu den Menschen, die ihre eigene Kindheit oder Kindheit im allgemeinen idealisieren.